zur Erinnerung

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Trainer-Ikone Jutta Müller * 13. Dezember 1928, Chemnitz
† 02. November 2023, Bernau bei Berlin
( 94 Jahre )

Noch in hohem Alter stand sie in Chemnitz an der Bande, um jungen Eisläuferinnen die nötigen Sprünge beizubringen. Jutta Müllers Leben war Eiskunstlauf

Chemnitz/Bernau – Sie war die berühmteste Eiskunstlauf-Trainerin der Welt und brachte Katarina Witt (57) zum Olympiagold.

Jutta Müller wuchs in Chemnitz auf. Ihre Eltern waren Marie Lötzsch (geb. Prußky) und der Lokführer Emil Lötzsch, welcher im Jahr 1930 im Ringen sächsischer Meister wurde.

Jutta Müller arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Lehrerin für Deutsch, Musik, Sport und Mathematik, bis sie in ihrer aktiven Zeit als Sportlerin von der Eiskunstläuferin Charlotte Giebelmann betreut und trainiert wurde. 1949 bekam sie den Titel „DDR-Meisterin im Paarlauf“ mit Irene Salzmann (infolge des Krieges gab es zunächst keine männlichen Partner).

Ab 1954 studierte Jutta Müller an der DHfK Leipzig. 1955 begann ihre Karriere als Eiskunstlauftrainerin beim SC Wismut Karl-Marx-Stadt. In den folgenden Jahrzehnten wurde sie eine der erfolgreichsten Trainerinnen der Welt.

Im Rahmen des Chemnitzer Eismärchens am 8. Dezember 2018 organisierte der Chemnitzer Eislauf Club eine Sonderveranstaltung anlässlich des 90. Geburtstages von Jutta Mueller († 94, r.).
© Kristin Schmidt

Wie zuerst der MDR berichtete, verstarb sie in einem Pflegeheim im Alter von 94 Jahren.

Dort lebte sie seit dem Sommer 2022, nachdem sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Heimatstadt Chemnitz verließ und in die Nähe ihrer Tochter Gaby Seyfert nach Bernau zog.

Sie galt als strenge Trainerin, wobei der Erfolg ihrer Linie recht gab. Sie formte große Sportler auf dem Eis wie ihre Tochter Gaby, Jan Hoffmann, Anett Pötzsch und natürlich Katarina Witt.

Witt und Müller verband eine besondere Bindung - obwohl oder gerade weil Kati ihre Trainerin bis zum Ende siezte. "Jeder fragt uns: 'Du sagst immer noch Sie?' Ja, das werde ich immer! Frau Müller ist für mich immer Frau Müller. Aus Respekt! Und trotzdem ist sie mir ganz nah", erinnerte sich Olympiasiegerin Katarina Witt anlässlich des 90. Ehrentages von Müller.

Insgesamt gewann sie mit ihren Schützlingen drei olympische Goldmedaillen, zehn Welt-, 18 Europa- und 42 DDR-Meistertitel. Damit ist Jutta Müller die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt.

Am 12. Dezember 2008 wurde sie anlässlich ihres 80. Geburtstages zur Ehrenbürgerin der Stadt Chemnitz ernannt.

Auch die Stadt Chemnitz trauert um ihre Ehrenbürgerin Jutta Müller. Oberbürgermeister Sven Schulze: "Mit Jutta Müller verliert Chemnitz nicht nur eine Ehrenbürgerin. Sie war eine Institution im Chemnitzer Sport, den sie über viele Jahrzehnte geprägt hat wie wenige andere."

Weiter heißt es: "Ihr Ruf ging weit über unsere Stadt hinaus. Als erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt war sie eine hervorragende und vor allem authentische Botschafterin unserer Stadt. Jutta Müller wird für immer in den Herzen der Chemnitzerinnen und Chemnitzer bleiben."

Jutta Müller (3.v.r.) erhielt 2008 die Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Chemnitz. Hier mit ihren ehemaligen Schützlingen Jan Hoffmann, Gaby Seyfert, Katarina Witt und Anett Pötzsch (l-r) beim gemeinsamen Gruppenfoto.
(2.v.l. damalige OB Babara Ludwig, Mitte hinten Sportreporter Heinz-Florian Oertel)
© Wolfgang Thieme/dpa-Zentralbild/dpa

Insgesamt 40 Berufsjahre widmete die Chemnitzerin dem Eiskunstlauf in Chemnitz. Dabei erhielt sie am 13. Dezember 1998 als erste Preisträgerin überhaupt den Ehrenpreis der Stadt Chemnitz und am 2. November 2002 den Sächsischen Verdienstorden vom Land Sachsen.

Eiskunst-Startrainerin Frau Müller aus einer anderen Zeit

Eiskunsttrainerin Jutta Müller (l.) mit ihrer erfolgreichsten Sportlerin: Katarina Witt
Foto: Thomas Zimmermann / IMAGO

Jutta Müller formte als Eiskunstlauftrainerin Katarina Witt zur Doppelolympiasiegerin. Ihre harten Trainingsmethoden waren nach dem Ende der DDR nicht mehr gefragt, dennoch wurde sie bis zuletzt bewundert.

»Das Wichtigste an den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme, wie auch das Wichtigste im Leben nicht der Sieg, sondern das Streben nach einem Ziel ist«, so soll Pierre de Coubertin einst das olympische Motto formuliert haben. Ein hehrer Gedanke. Aber auch ein absurder. Für die allermeisten Sportlerinnen und Sportler bedeutet ein Olympiasieg die Krönung der Laufbahn, es ist ein Ziel, für das alles Menschenmögliche unternommen wird.

Dieses Streben nach Perfektion. Schneller, höher, weiter. Im Eiskunstlaufsport verkörperte das niemand so sehr wie Jutta Müller. Eine der erfolgreichsten Trainerinnen der Eislaufgeschichte. Sie führte ihre Schützlinge zu drei olympischen Goldmedaillen und zehn Weltmeistertiteln, mit einer Fachkenntnis, die ihresgleichen suchte. Aber auch mit Trainingsmethoden, die selbst für DDR-Verhältnisse als hart galten.

Die bekannteste unter all ihren Zöglingen: Katarina Witt. Die Einheiten mit Müller haben sich bei ihr eingeprägt. »Frau Müller wollte, dass ich den Dreifach-Flip springe«, erinnert sich Witt in einer 2018 ausgestrahlten MDR-Dokumentation. »Aber ich habe mich gesträubt und habe nach zweieinhalb Drehungen aufgerissen.«

Müller aber habe nicht locker gelassen. »Du bleibst so lange auf dem Eis, bis du den Dreifach springst.« Immer und immer wieder habe Witt es versucht, immer und immer wieder sei es ihr misslungen. Müller aber gönnte Witt keine Pause, also habe sie weitergemacht. Bis ihr der Sprung endlich gelang. »Bei der Landung bin ich natürlich gestürzt«, was Müller aber egal gewesen sei. »Sie wollte nur den Beweis.«

Den Beweis, dass Witt es kann. 1984 bei den Olympischen Spielen in Sarajevo besiegte Witt dann die favorisierte Weltmeisterin Rosalynn Sumners um die Winzigkeit von 0,2 Punkten. Mit drei Dreifachsprüngen in der Kür.

»Sie ist für mich auch Familie.«
Katarina Witt über Jutta Müller

Vier Jahre später wiederholte Witt ihren Olympiasieg, das Duo Witt und Müller war auf dem Höhepunkt angekommen.

Bis zuletzt sprach Witt voller Ehrfurcht, aber auch Respekt von ihrer ehemaligen Trainerin. »Zum Teil die größte Angst, die ich in meinem Leben erlebt habe, die habe ich wegen Frau Müller erlebt«, sagte Witt. Bei ihr, mittlerweile 57, hieß die Trainerin immer nur »Frau Müller«, nie Jutta. Aber: »Sie ist für mich auch Familie«.

Gaby Seyfert und Jutta Müller, 1969
Foto: Sven Simon / IMAGO

Auch ein leibliches Familienmitglied führte Müller auf ein olympisches Podest: Tochter Gaby Seyfert, ihren ersten Schützling, den sie von Kindesbeinen auf zu Höchstleistungen antrieb. »Das Gespräch über Eiskunstlauf begann am Frühstückstisch und hörte abends nicht auf«, sagte Seyfert einmal über den Alltag mit ihrer Mutter und Trainerin.

In Grenoble lief Seyfert 1968 zu Silber, Gold vier Jahre später in Sapporo war fest eingeplant. Doch das Vorhaben scheiterte, ehe es so richtig begonnen hatte, weil Seyfert etwas Unerhörtes passierte: Sie verliebte sich. Müller sah das Goldprojekt gefährdet und stellte Seyfert vor die Wahl: Sport oder Liebe.

Seyfert beendete ihre Karriere, ein Bruch mit ihrer Mutter und dem gesamten Sportsystem der DDR, das die Ãœberlegenheit des Sozialismus bei den Olympischen Spielen immer wieder aufs neue beweisen wollte.

»Auch im normalen Leben ist Disziplin die wichtigste Voraussetzung für eine persönliche Karriere. Die Läufer müssen das machen, was der Trainer sagt.«
Jutta Müller

Später rächten sich die DDR-Funktionäre an Seyfert, als diese in ihrem zweiten Leben als Trainerin kurz davor war, die talentierte Anett Pötzsch zu Titeln zu führen. Von oben kam die Order: Pötzsch benötige eine erfahrene Trainerin. 1980 wurde Pötzsch dann Olympiasiegerin in Lake Placid. An ihrer Seite: Jutta Müller.

Müller selbst sagte einmal, sie habe ihre »harte Linie nie bereut, denn auch im normalen Leben ist Disziplin die wichtigste Voraussetzung für eine persönliche Karriere. Die Läufer müssen das machen, was der Trainer sagt«.

Nach der Wende endete Müllers Laufbahn

Sie selbst lebte das vor. Ihre aktive Karriere endete mit Mitte 20, Müller befand später mal, sie sei einfach nicht gut genug gewesen. Ganz freiwillig war die Abkehr vom aktiven Sport aber nicht. Der mächtige DDR-Sportpatriarch Manfred Ewald befand: Bei Müller reiche es als Läuferin einfach nicht, sie müsse Trainerin werden. Müller, seit 1946 in der SED, fügte sich.

Jutta Müller und Katarina Witt nach dem Olympiasieg 1988 in Calgary
Foto: Camera 4 / IMAGO
Jutta Müller, 2014: »Harte Linie nie bereut«
Foto: Harry Haertel / IMAGO

Das Ende der DDR traf Müller hart, ihre schillernde Karriere endete praktisch über Nacht. In der Bundesrepublik waren ihre Methoden nicht mehr gefragt, eine Trainerin, die im Pelzmantel an der Bande steht und ihre Schützlinge ohne Rücksicht auf Verluste zum Erfolg treibt, das passte nicht mehr zum Zeitgeist.

»Wie man mit Frau Müller nach der Wende umgegangen ist, das war an Respektlosigkeit nicht zu überbieten«, sagte Witt. Der ehemalige österreichische Eiskunstläufer Emmerich Danzer sagte: »Sie hat eine unerhörte Härte gehabt. Das wäre in der Bundesrepublik nicht möglich gewesen.«

Am Ende jubelte sie auch über Platz sieben

Die Zeiten haben sich geändert. Die allermeisten Eiskunstläufer und -läuferinnen suchen sich ihre Trainer mittlerweile selbst aus. Dass Kinder bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus zu Höchstleistungen getrieben werden, gehört in den allermeisten Ländern der Vergangenheit an.

Als die russische Startrainerin Eteri Tutberidse die weinende 15-jährige Kamila Walijewa nach ihrer Performance bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking nicht tröstete, sondern öffentlich schimpfte, gingen die Bilder um die Welt. Empörung machte sich breit.

Obwohl Müller in der Bundesrepublik kaltgestellt wurde, nahm sie noch einmal an Olympischen Spielen teil. Natürlich mit Witt, die für die Spiele 1994 in Lillehammer noch mal ins Amateurlager wechselte. Siegchancen hatte sie damals nicht, das wusste sie und das wusste auch Müller, die später sagte: »Ich war erst mal nicht begeistert«.

Doch Witt wollte unbedingt. Und Müller ließ sich überreden, ihre größte Läuferin ein letztes Mal zu trainieren, auch ohne die Aussicht auf Gold. Am Ende wurde Witt Siebte. Und Müller jubelte dennoch.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04